Märchen | Rotkälbchen & der gute Wolf
Auf Patreon ist heute ein neues Märchen erschienen. Diesmal stellen wir uns die Frage, wie die Geschichte von „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“ in einem alternativen Universum hätte ausgehen können. Ist der Wolf vielleicht gar nicht so böse?
Das Märchen erscheint exklusiv für alle Unterstützer der Stufe „Märchensammler“. Zur Patreon-Seite von Lilli Immel: patreon.com/lilli_immel
Leseprobe
In einem bezaubernden Dorf zwischen saftig grünen Hügeln lebte eine kleine Kuh namens Rotkälbchen. Nun sind Kühe nicht gerade für ihre Abenteuerlust bekannt, aber Rotkälbchen war anders. Es hatte zwischen den vielen braunen Flecken und Sprenkeln auch einen kleinen rosaroten Fleck auf der Stirn, weshalb es von allen seit Jahr und Tag nur Rotkälbchen genannt wurde.
An einem sonnigen Morgen war das Dorf in heller Aufregung, denn das jährliche Erntedankfest stand vor der Tür. Die Kühe bereiteten sich auf die Teilnahme an der großen Festparade vor, bei der sie geschmückt mit bunten Bändern und Blumenkränzen durch das Dorf marschieren würden. Rotkälbchen war besonders aufgeregt, denn in diesem Jahr würde es zum ersten Mal auch einen Blumenkranz tragen.
Rotkälbchen hörte an jeder Ecke die Kühe über die Preisverleihung sprechen. Alle hofften sie, dass sie am Ende der Parade zur schönsten Kuh im Dorf gekürt würden. „Na, das Rotkälbchen wird’s sicher nicht werden“, spottete eine ältere Kuh. „Der Fleck leuchtet ja bis ins nächste Dorf.“ Die anderen Kühe lachten und Rotkälbchen fühlte sich mit seinem roten Punkt auf der Stirn plötzlich ganz unsicher.
Was, wenn man es auslachen würde? Oder noch schlimmer: wenn es nicht an der Parade teilnehmen dürfte? Nur wegen eines blöden roten Flecks mitten auf der Stirn!
Am Vortag des Festes, als die Kühe auf der Weide geschäftig tratschten, hielt Rotkälbchen die Aufregung nicht mehr aus. Es beschloss, einen Spaziergang zum Wald zu machen, um nicht dauernd das Geschwätz hören zu müssen.
Rotkälbchen wusste, dass es eigentlich nicht allein in den Wald gehen sollte. Die älteren Kühe erzählten Geschichten von Tieren, die einem Kälbchen durchaus gefährlich werden konnten. Doch was sollte schon passieren? Die Bäume auf der Weide spendeten im Sommer schließlich Schatten und schützten die Kühe auch ansonsten vor Regen und Hagel, wieso sollte dann ein Wald mit vielen Bäumen gefährlich sein?
Was Rotkälbchen nicht wusste, war, dass ein missmutiger alter Mann namens Wolfgang im Wald lebte. Die meisten Dorfbewohner mieden den grummeligen Alten um jeden Preis und wenn man über ihn sprach, nannten alle ihn nur „den Wolf“. Er war das Alleinsein gewöhnt und duldete nicht oft Besucher, besonders keine kleinen neugierigen Kälbchen.
Nichtsahnend trabte Rotkälbchen also los in Richtung Wald und muhte fröhlich im Takt seiner Schritte vor sich hin.
Im Wald roch es nach saftigen Tannennadeln, feuchter Erde und Abenteuer. Mit einem tiefen Atemzug sog Rotkälbchen die kühle Waldluft ein. Der Wald war Rotkälbchen direkt sympathisch. Und diese himmlische Ruhe!
Rotkälbchen blickte sich noch einmal um: den anderen Kühen schien die Abwesenheit bisher nicht aufgefallen zu sein. Also beschloss das kleine Kalb, seine Entdeckungstour durch den Wald fortzusetzen.
Schon nach wenigen Metern erschnupperte Rotkälbchen einen wundervollen Duft und folgte diesem über Stock und Stein, zwischen zwei Birken hindurch und um einen großen Felsbrocken herum. Und plötzlich stand es mitten im schönsten Garten, den es in seinem jungen Kälbchenleben jemals gesehen hatte!
Der Duft der Blumen war atemberaubend und Rotkälbchen schloss die Augen. Für einen Moment war alles perfekt.
Ein Knacken ließ Rotkälbchen aufschrecken. Geistesgegenwärtig schlüpfte das kleine Kalb hinter eine Bank, auf der ein Korb mit Kartoffeln stand. Gerade noch rechtzeitig verschwand auch der Schwanz, denn aus dem Wald stapfte ein grimmig dreinblickender Mann. Er trug einige Zweige im Arm und zog eine schwere Axt hinter sich her. […]
Hier geht es zum vollständigen Text: Rotkälbchen & der gute Wolf
Text und Idee: Lilli Immel